Künstliche Intelligenz kann so viel und ist für viele doch nur schwer zu greifen. Hier springt Patrick Ratheiser ein. Der Keynote-Speaker und CEO erklärt im großen Interview, wie KI Ihrem Unternehmen konkret helfen kann.
In Unternehmen scheitern 87 Prozent der KI-Projekte. In Ihrem vielleicht auch. Weil oft vorab nicht klar ist, welche Aufgaben die Künstliche Intelligenz eigentlich erfüllen könnte. Oder weil verantwortliche Manager nicht wissen, welche Anwendungen es gibt. Patrick Ratheiser will das ändern. Er ist Keynote-Speaker zum Thema Künstliche Intelligenz und sein Unternehmen Leftshift One bietet individualisierte GPT-Lösungen für Unternehmen an. Im Space-Interview mit sonicboom erklärt er, wie Sie zu einer funktionieren KI-Lösung kommen und welche Vorteile europäische Unternehmen im KI-Wettlauf gegenüber der Konkurrenz aus den USA und China haben.
Wie definierst du für dich künstliche Intelligenz? Wie künstlich ist sie, wie intelligent ist sie?
Es gibt unterschiedlichste Definitionen von KI. Ob der Begriff jetzt Machine oder Deep Learning meint oder neuronale Netzwerke ist irrelevant. Es geht darum, dass wir diese Technologie haben. Und diese Technologie ist nichts anderes als viel Mathematik, Statistik und Heuristik. Auch die Technologie hinter ChatGPT ist nichts anderes als ein großes Statistikmodell, das selbst gar nicht weiß, was es da schreibt. Wir müssen die Kirche da im Dorf lassen. Die Frage ist, wo uns diese Technologie unterstützen kann – das tut sie beispielsweise bei geistigen Routineaufgaben. So definiere ich KI.
So groß der Hype auch gerade ist: Neu ist diese Technologie nicht.
Wir haben mittlerweile den dritten KI-Frühling. Den erstes gab es bereits in den 1960er-Jahren. Damals war die Technologie sehr datengetrieben und es steckte wenig Rechenpower dahinter – gerade auf der Textebene. Dort haben normale NLU oder NLP-Algorithmen einfach nur Ähnlichkeiten erkannt. Was wir jetzt sehen, mit den neuen Modellen, geht aber einen Schritt weiter, weil die Modelle mit ganz anderen Datenmengen trainiert sind und das nächste Wort voraussagen können. Das ist nicht mehr so statisch. Aber auch die ersten GPT-Modelle sind bereits aus dem Jahr 2018 und damit schon relativ alt. Neu ist die Zugänglichkeit und Benutzbarkeit, die wir haben. Es wird leichter erlebbar für den End-User.
Wo war denn der Knackpunkt, dass es zu diesem dritten Frühling überhaupt kam?
Der dritte Frühling hat schon etwas früher begonnen – mit Alexa und den Chatbots. Das hat KI erlebbar gemacht. Allerdings war die Enttäuschung sehr hoch, weil die Technologie noch nicht gut war. Das ist jetzt anders. Absoluter Knackpunkt war aber die Benutzbarkeit, die Einfachheit und es fühlt sich natürlich an. Jetzt hat auch der letzte CEO verstanden, was KI ist.
Viele CEOs haben das Gefühl, schon etwas verpasst zu haben, und werden hektisch. Täuscht das oder ist das tatsächlich so?
Es gibt tatsächlich eine gewisse Hektik, gerade im DACH-Raum, der bisher sehr konservativ agiert hat. Diese Zurückhaltung, die wir in Europa gegenüber neuen Technologien haben, ist jetzt spürbar, weil Unternehmen aus anderen Regionen schon viel früher angefangen haben, entsprechende Erfahrungen zu sammeln. Gerade in den nordischen Ländern, den USA und den asiatischen Märkten. Die haben eine ganz andere Einstellung, deswegen ist die Panik dort jetzt nicht so groß. Wir merken jetzt erst, was KI alles kann und möchten schnell alles integrieren. Die große Panik muss nicht sein, aber es ist höchste Eisenbahn, sich mit dem Thema zu beschäftigen.
Haben denn KMUs bisher etwas verpasst?
Würde ich so sehen, weil sie die Erfahrung nicht machen konnten. Wir haben in Österreich ein bisschen die Digitalisierung verschlafen und die ist die Basis für KI, die nur mit sauberen Daten gut funktioniert.
Angenommen, ein KMU hat seine Digitalisierungs-Hausaufgaben erledigt: Welche Möglichkeiten hat dieses Unternehmen jetzt, in Sachen KI am Ball zu bleiben?
Der erste Schritt ist einmal, Use Cases zu finden. 87 Prozent der KI-Projekte sind in der Vergangenheit gescheitert. Das hat damit zu tun, dass die Geschäftsführung den Mitarbeitern gesagt hat, sie müssten etwas mit KI machen. Dann ist irgendwas gemacht worden. Das muss scheitern. Was Unternehmen tun müssen, ist, sich hinzusetzen und zu analysieren, wo es im Unternehmen Prozesse gibt, die eine KI übernehmen kann – also repetitive Routinearbeiten. Das kann eine E-Mail-Automatisierung sein oder Wissensmanagement. Dann können Unternehmen mit einer risikoarmen Umsetzung starten, um dabei zu lernen. Es bringt jetzt aber nichts, einfach die 20-Dollar-Version von ChatGPT zu kaufen und ein bisschen zu prompten.
Welche Low-Hanging-Fruits gibt es in dem Bereich?
Das könnten einfache, aber nervige Büroarbeiten sein. Beispielsweise Textgenerierung im Marketing oder die Formulierung einfacher E-Mails. Das ist extrem schnell umsetzbar. Auch in der Produktion gibt es einfache Anwendungsmöglichkeiten im Bereich Predictive Maintenance und Predictive Quality. Unternehmen könnten auch mit Datenanalysen starten und die ersten Modelle trainieren. Wir haben mittlerweile Zugriff auf 360.000 Open-Source-Modelle – die Technologie ist also da.
Welche technischen Möglichkeiten habe ich als KMU, verschiedene KI bei mir einzubinden?
Es gibt unterschiedlichste Anbieter, die eine Übersicht über die verschiedenen Anwendungen haben. Dadurch entstehen Stück für Stück praktische Lösungen. Zum Beispiel unser eigenes MyGPT. Das ist ein firmeninternes ChatGPT. Dort können Unternehmen ihre eigene Wissensbasis integrieren. Auch KI-as-a-Service geht relativ schnell. Man muss aber aufpassen. Es gibt im Moment sehr viele Unternehmen, die kaum mehr sind als Trittbrettfahrer. Denn ChatGPT in eine Firmen-IT einzubinden, schafft ein 17-jähriger HTL-Schüler. Das bringt Unternehmen aber keinen Wettbewerbsvorteil. Den gibt es erst, wenn die eigenen Daten sicher verwendet werden können und es individuelle Plugins gibt. Die Anbieterauswahl ist natürlich sehr schwer für KMU. Es gilt, auf die Expertise zu achten. Kann der Anbieter ein Large-Language-Modell anpassen? Kann er andere Modelle trainieren?
Ein großes Thema bei KI ist der Abfluss von Know-how und der Datenschutz. Haben hier lokale Unternehmen einen Wettbewerbsvorteil gegenüber den großen Playern aus Übersee?
Man muss sich anschauen, wie die ganz großen Player, die Hyperscaler, funktionieren. Die bieten die Large-Language-Modelle als request-basierten Sevice an. Microsoft oder Amazon werden die direkte Integration in ein Unternehmen nicht direkt übernehmen – das machen sie nicht. Regionale Partner, als Softwareintegratoren, die wir in Österreich oder Deutschland haben, aber schon. Und die verstehen ihr Geschäft und kennen den regionalen Markt viel besser. Für das Knowhow muss ich nicht ins Silicon Valley gehen, dort wird auch nur mit Wasser gekocht.
Der Gesetzgeber hinkt beim Thema KI naturgemäß noch hinterher. Was tut sich in dem Bereich gerade?
Die europäische Gesetzgebung EU-AI und die Datenschutzgrundverordnung sind sehr positive Dinge. Es gibt dahingehend verschiedene Risikoklassen. In der höchsten geht es um Themen wie Social Scoring und um spezifische und Unternehmens- und Personendaten. Dort muss es Einschränkungen geben und wir dürfen der KI nicht alles erlauben. Es gibt tolle Möglichkeiten, personenbezogene Daten zu anonymisieren und dann zu synthetisieren, um sie verwenden zu können. Was mir Angst macht, ist die Bürokratie, die vielleicht in der EU entstehen könnte. Müsste ich jedes KI-Modell anmelden, am besten noch schriftlich, dann haben wir ein Problem, das uns hemmen wird.
Kannst du abschätzen, was noch an konkreten Regelungen, die KMUs betreffen, kommen könnte?
Der wichtigste Punkt sind immer personenbezogene Daten. Wir schließen mit jedem Kunden ein sogenanntes DPA, also ein Data Processing Agreement. Darin wird geklärt, wo die Daten hingehen und wer dafür verantwortlich ist. Was jetzt zusätzlich diskutiert wird, gerade bei größeren Unternehmen, ist die Integration des Betriebsrates. Denn die Mitarbeiter spielen bei vielen Themen natürlich eine zentrale Rolle. Das alles ist wichtig, aber es sind die gleichen Themen, die schon beim Datenschutz vor ein paar Jahren diskutiert wurden.
Siehst du angesichts der Vormachtstellung amerikanischer und chinesischer Unternehmen bei der KI noch eine Chance für die europäische Konkurrenz?
Das muss man ein bisschen trennen. In der Basistechnologie und der Grundlagenforschung, wird es für Europa ganz schwierig, noch nachzukommen. Ein Problem ist, dass wir zwar wissen, wie es funktioniert, wir aber Probleme haben, die entsprechenden Gelder aufzustellen, um KI-Modelle zu trainieren. Meiner Meinung nach sind wir da sehr weit hinterher. In der anwendungsorientierten KI kommt aber unsere Ingenieurskunst zu tragen. Europäische Anbieter verstehen den Use-Case und sind serviceorientiert. Da haben wir, glaube ich, tolle Unternehmen, die diese Technologie integrieren können und es werden tolle Projekte entstehen. Dazu kommt, dass die europäischen Anbieter verstehen, wie die örtlichen Unternehmen ticken und das richtigen Mindset im Hinblick auf Datenschutz und andere Themen haben. Das kann eine Chance für Europa sein.