Jörg Storm im sonicboom Space Interview

sonicboom Space: Jörg Storm im Interview

von Christian Domke-Seidel

Der LinkedIn-fluencer

Jörg Storm ist einer der reichweitenstärksten Influencer auf LinkedIn. Er glaubt, dass die Plattform unterschätzt wird und macht vor, wie man mit wenig Mitteln viel erreichen kann. Ein Interview.

Es geht ganz schnell, vielleicht sind es schon viel mehr, aber zum Zeitpunkt des Interviews hat Jörg Storm 585.000 Follower auf LinkedIn. Manche Wirtschaftsgurus mögen auf mehr kommen, aber die Interaktionsraten bei ihm sind konstant hoch. Seine Posts erreichen Millionen von Menschen. Dadurch entsteht eine Spirale. Erfolgreicher Content bringt ihm noch viel mehr Follower. Der Erfolg hat ihn auch motiviert, einen eigenen Newsletter herauszugeben, der mittlerweile ebenfalls über 21.000 Abonnenten hat.

Hauptberuflich ist Jörg Storm bei der Mercedes-Benz Group (ehemals Daimler) für die globale IT-Infrastruktur der Mercedes-Benz Mobility verantwortlich. Eine Arbeit, die es zwangsläufig mit sich bringt, bei Neuentwicklungen in vielen Bereichen am Ball zu bleiben. Als er in China erlebt hat, wie hoch dort die Geschwindigkeit dieser Innovationen abläuft, hat er sich gefragt, warum das in Deutschland nicht der Fall ist. Also hat er angefangen, wichtige, große, erstaunliche und sonst wie bemerkenswerte Fortschritte in der Volksrepublik seinen Kollegen und Freunden auf LinkedIn vorzustellen. Daraus wurde ein steter Quell der Inspiration für Abertausende Technikinteressierte.

 

War es dein Plan, Influencer zu werden?

Nein, da gab es keinen Plan. Ich war sechs Jahre in China und habe dort die Unterschiede zu Deutschland gesehen. Sechs Jahre lang konnte ich bargeldlos zahlen mit Alipay und WeChat. Konnte Kollegen Geld in Sekunden überweisen und sogar am Marktstand Obst und Gemüse zahlen. Zurück in Deutschland gab es Leute, die haben 9,99 beim Discounter an der Kasse aufs Förderband gelegt. In China fährst du mit 350 Stundenkilometern im Zug von Peking nach Shanghai und kannst unterbrechungsfrei mit 5G Videos streamen. Die Züge sind sauber und pünktlich. Die Chinesen haben innerhalb von vier Jahren den größten Flughafen der Welt gebaut. Das sind die Unterschiede, die ich meinen Freunden und Kollegen zeigen wollte. Also habe ich angefangen, über China, digitale Transformation und Future-Trends-Themen zu posten. Das war vor vier Jahren. Zuvor hat mein LinkedIn-Profil ausgesehen wie von jedem anderen auch.

China ist einer der Hauptmotivatoren?

Vor 24 Jahren habe ich mich bei Daimler beworben. Für das Vorstellungsgespräch bin ich von Augsburg nach Stuttgart gefahren und auf der Autobahn A8 war eine Baustelle. Dort ist heute noch eine Baustelle. Immer, wenn ich dort entlangfahre, sehe ich dort Bagger und Maschinen für Millionen von Euro stehen. Das ist ein 100 Kilometer langer Parkplatz. So etwas gibt es in China nicht. Die sind richtig schnell. Aber das ist nicht nur in China so. Ich habe zuvor in Tokio gelebt, da war es das Gleiche.

Wie hast du anschließend deine Reichweite erhöht?

Es ist wie mit Liegestützen. Am Anfang schafft man vielleicht zehn und nach einem Jahr dann hundert. Aber dafür muss man am Ball bleiben und es regelmäßig machen. So gingen die Impressions und das Engagement hoch. Und dann ist es wirklich schnell gewachsen. Auf einmal hatte ich Phasen, in denen ich 1.000 Follower am Tag gewonnen habe.

Du hast jetzt sehr viele Themen angesprochen und Beispiele gebracht. Wie pickst du dir die heraus, die für einen Post infrage kommen?

Dahinter steckt viel Trial-and-Error, und ich musste viel lernen. Ich bin die Babyboomer-Generation, und für mich war das alles komplett neu. Emotionale Posts performen viel besser als rationale. Oft würde ich lieber einen hochkomplexen Beitrag teilen, da weiß ich aber ganz genau, dass sich den niemand anschaut. Man braucht eine Hook. Irgendeine boulevardzeitungstaugliche Überschrift, bei der die Leute aufhören zu scrollen und lesen. Auch ein emotionaler Touch kann helfen. Ich lese sehr viel, habe alle möglichen Newsletter abonniert, bin auf Twitter und Reddit unterwegs. Dort sammele ich, was mich im Bereich Future Trends, Megacitys, Autonomous Driving, Organisation oder Digitalisierung interessiert. Beispielsweise: Welche Challenges haben Unternehmen in der Digitalisierung in kleinen, mittelständischen Unternehmen im AI-Umfeld? Was müssen die machen? Das sind Themen, die mich jetzt interessieren.

Gibt es auch Themen, die du bewusst vermeidest?

Alles, was extrem ambivalent ist. Biden und Trump oder Ukraine und Russland. Da kann ich mich zwar auf eine Seite schlagen, dann melden mich aber sofort die Anhänger der Gegenseite bei LinkedIn und mein Account wird blockiert.

Für andere Influencer*innen ist es ein Vollzeitjob. Wie sieht das bei dir aus? Woher nimmst du die Zeit?

Manche Leute rauchen, andere gehen ins Fitnessstudio. Die Zeit, die ich für das Fitnessstudio aufbringen sollte, verwende ich dafür. Ich mache das am Wochenende. Alles, was du von mir siehst, ist in der Regel vorausgeplant. Ich habe eine Art Redaktionsplan in einer Excel-Tabelle. Dafür gehen ein paar Stunden darauf. Dazu kommen Ad-hoc-Themen wie der Human AI Pin, zu denen ich dann spontan noch etwas mache.

LinkedIn wandelt sich gerade von einem reinen Netzwerk zu einer Content-Plattform. Hast du Änderungen beim Algorithmus bemerkt?

Ja, das hat sich extrem stark gewandelt. Content, der zuvor hervorragend performt hat, hat ab Sommer gar nicht mehr funktioniert. Es gibt zwei Arten von Content, die auf LinkedIn zuverlässig funktionieren. Das eine sind Influencer, die einfach Content von Twitter oder YouTube nehmen und mit ihrem Logo neu posten. Das erzeugt oft Hunderte Kommentare und Tausende Likes. Damit erreichst du alle, die halt etwas Lustiges sehen wollen. Das ist eine Art Entertainment, das habe ich bisher gar nicht gemacht. Die zweite Art ist der hochqualitative Bereich. In dem gibst du dein Wissen kostenlos her. Durch diesen Algorithmus-Change von LinkedIn musste man auch die Häufigkeit der Posts anpassen. Ich habe meine Frequenz auf ein oder zwei am Tag reduziert.

Wo siehst du denn den Unterschied zwischen Instagram- und LinkedIn-Influencern?

Auf LinkedIn sind primär Business-Professionals unterwegs. Auf dieser Plattform teilst du normalerweise keine privaten Bilder. Bei Instagram schon. Mit Blick auf die finanziellen Möglichkeiten ist die Follower-Base auf LinkedIn wahrscheinlich besser, da dort fast ausschließlich berufstätige und volljährige Menschen interagieren.

Wie macht man aus Leuten, die einen zunächst überhaupt nicht kennen, Follower? Und im zweiten Schritt zahlende Kunden?

Follower gewinnt man durch Entertainment oder Education. Ich gehe den Weg der Education. Die User müssen einen vermissen, wenn man mal einen Tag nichts postet. Dann kannst du ein gewisses Service-Portfolio anbieten. Ich biete zum Beispiel One-on-one-Coaching an. Das ist aber weniger zum Geldverdienen gedacht, sondern dafür, neue und interessante Leute kennenzulernen. Geld zu verdienen, ist nicht mein primäres Ziel. Ich habe einen Hauptjob und in den investiere ich mehr als die üblichen acht Stunden am Tag.

Würdest du sagen, man kann diese Art Erfolg planen?

Ja, das kann man. Wenn du dich entscheidest, jeden Tag kontinuierlich etwas zu posten, dann wirst du sehen, wie deine Follower-Base ansteigt. Wenn du den Content dann noch mit einer Hook versiehst und mit einem Call-to-Action – also eine Frage stellen beispielsweise – dann gehen auch die Interaktionen nach oben. Entscheide dich für ein Ziel, das du erreichen willst – meinetwegen von 1.000 Followern auf 10.000 – und überlege dir, was du gut kannst und wo du einen Informationsvorsprung hast.

Würdest du sagen, dass sich das lohnt?

Social Media wird weiterwachsen. LinkedIn hat jetzt die Milliarde-User-Marke geknackt, wenn ich mich nicht täusche und war lange eine komplett unterbewertete Plattform im Vergleich zu TikTok oder Instagram. Ich glaube, das hat Zukunft – für Business-relevante Themen ist LinkedIn natürlich ein passendes Medium. Und es gibt keinen Grund zu sagen, es sei zu spät, jetzt damit anzufangen.

 

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