Wegweiserin im Tal der Tränen
Monika Köppl-Turyna ist Direktorin des Wirtschaftsforschungsinstituts EcoAustria. In Zeiten der multiplen Krisen ist sie als Beraterin und Gesprächspartnerin gefragt.
Österreich steht seit Anfang des Jahres 2020 Kopf. Die Coronapandemie ging Hand in Hand mit einer Wirtschaftskrise. Der russische Angriffskrieg in der Ukraine ließ die Inflation durch die Decke gehen. Das alles im Schatten einer Klimakatastrophe, die mit einem Strukturwandel angegangen werden muss. Monika Köppl-Turyna ist in dieser Situation als Gesprächspartnerin sehr gefragt. Als Direktorin des Wirtschaftsforschungsinstituts EcoAustria forscht Köppl-Turyna zu Öffentliche Finanzen, Verteilungsfragen, Arbeitsmarkt und Fragen der politischen Ökonomie. Mit sonicboom sprach sie über die aktuellen Probleme, mögliche Lösungen und wie man beides kommunizieren kann.
Sie hatten ja sehr viel Stress in den letzten Tagen und Wochen habe ich gesehen.
Ja, wir haben das ganze Jahr über viel zu tun. Dass EcoAustria in der aktuellen Situation befragt wird, ist ja eine gute Sache. Das ist allerdings auch ein Ergebnis der letzten Jahre. Es ging ja nicht erst mit der Energiekrise los, sondern schon mit Corona. Damals waren wir schon permanent im Gespräch. Auch mit der Regierung. Einerseits freut es mich, dass wir gebraucht werden. Andererseits würde es mich auch sehr freuen, wenn die Wirtschaft so weit wäre, dass sie unsere Unterstützung und Expertise nicht mehr brauchen würde.
Genaugenommen arbeiten Sie daran, nicht mehr gebraucht zu werden?
Das ist genau die Idee. Als liberales Institut sind wir der Ansicht, dass ein guter Staat ein Staat ist, der eine funktionierende Wirtschaftsordnung bereitstellt, sich aber so wenig wie möglich einmischt. Dieser Idealzustand war aber in den letzten zwei Jahren nicht möglich.
Wann und wo ergeben Staatshilfen aus Ihrer Sicht Sinn?
Man muss immer abwägen zwischen Strukturwandel und Unterstützung. Es darf nicht sein, dass wir veraltete Geschäftsmodelle am Leben erhalten, die dann irgendwann zu einer Belastung werden. Wenn solche alten Geschäftsmodelle bestehen bleiben, werden deren Arbeitskräfte nicht frei für zukunftsfähige Unternehmen. Das ist natürlich immer eine Sorge bei staatlicher Unterstützung. Im Fall von Corona haben wir uns entschieden, für Hilfen zu sein. Weil der Schock einfach ein Ausmaß angenommen hatte, dass er Unternehmen und zahlreiche Haushalte gefährdete. In der jetzigen Krise ist es ähnlich. Wir müssen jetzt aufpassen, dass uns die gesamte Industrie, vereinfacht gesagt, nicht gegen die Wand fährt.
Aber das klingt jetzt auch nach recht langfristigen Eingriffen. Die jetzige Energiekrise wird nicht mit einem noch unabsehbaren Ende des Kriegs in der Ukraine vorbei sein.
Jetzt, im Winter und im nächsten Jahr werden wir noch signifikante Preisanstiege bei Strompreisen für die Unternehmen und die Industrie sehen. Die werden dermaßen groß sein, dass sie im Endeffekt Unternehmen zwingen, zu schließen. Eine gewisse Liquiditätsunterstützung ist also notwendig. Was wir allerdings nicht wollen, ist, dass die nächsten zehn Jahre die Strompreise gedeckelt werden. Das wäre auch für den Strukturwandel fatal. Hilfe muss aus meiner Sicht gewährleistet werden, aber auch hier eben mit einem gesicherten Auslaufen der Hilfen, sobald sie ihren Zweck erfüllt haben.
Das ist ein ganz schöner Drahtseilakt. Sie haben einerseits akute Probleme, andererseits soll ein Strukturwandel erreicht werden. Das alles in einem starken rechtlichen Rahmen, aber mit möglichst wenig Eingriffen und Subventionen.
Das ist eben die spannendste Frage und das ist genau das Problem, vor dem wir jeden Tag stehen. Wie sollen und können wir die Zukunft so gestalten, dass all diese Probleme abgedeckt werden. Um vielleicht hier ein Beispiel zu nennen: Die Stromversorgung der privaten Haushalte muss so ausgestaltet werden, dass die Hilfen treffsicher sind. Wir waren deswegen relativ kritisch gegenüber der präsentierten Strompreisbremse. Wir dürfen nicht zulassen, dass sich die Armut verstärkt. Aber irgendwo muss man die Grenze ziehen. Die Regierung kann sagen, sie unterstützt zum Beispiel die unteren vierzig Prozent der Haushalte. Warum nicht fünfzig Prozent? Oder dreißig? Das ist eine willkürlich gezogene Linie. Aber das ist in der praktischen Ausgestaltung dieser Gesetze nicht anders möglich.
Die Digitalisierung könnte genau bei diesem Problem helfen.
Das ist eines der besten Beispiele. Denn eines der wirklich massiven Probleme, die wir bei der Gewährung der Hilfen in den letzten Jahren gesehen haben – egal ob für Unternehmen oder private Haushalte – war die mangelnde Verfügbarkeit von bestimmten Daten. Obwohl die Digitalisierung voranschreitet und diese Daten verfügbar sein müssten, sind wir nicht in der Lage sie abzurufen, zu verwenden oder zu verknüpfen.
Ich möchte noch einmal kurz zurück zum Strukturwandel kommen. Dem sind in Europa gewisse Grenzen gesetzt, wenn man an die Verfügbarkeit von Rohstoffen denkt. Wie würden Sie diese Limitierung angehen?
Ja, das ist eines der dringlichsten Probleme. Das führt dazu, dass wir uns darum bemühen müssen, neue Technologien zu entwickeln, die uns ein bisschen souveräner machen. Man sieht auch an der aktuellen Gaskrise, wo es hinführt, wenn man von einem Lieferanten abhängig ist. Wir müssen uns die Frage der Souveränität stellen. Sind wir in Europa in der Lage, unsere Wirtschaft am Leben zu erhalten, falls sich beispielsweise China entschließt, bestimmte Waren nicht zu liefern. Oder sollte China einen Krieg gegen Taiwan beginnen. Es ist eine der wichtigsten Herausforderungen für Europa in den nächsten Jahren hier eigene Kapazitäten auszubauen und neue Wege zu finden, um unabhängiger von bestimmten Ressourcen zu sein.
Die Digitalisierung ist ein zentraler Plan der EU. Wie groß ist deren Potenzial tatsächlich?
Wir haben einige Studien dazu durchgeführt. Wir haben uns letztes Jahr die Digitalisierungs-Potenziale diverser Sektor angeschaut. Es ist klar, dass im öffentlichen Bereich enorm viel Steuergeld gespart werden kann und Arbeitsplätze entstehen können. Das Problem ist, glaube ich, dass Politiker nicht ganz verstehen, was Digitalisierung bedeutet. Oft werden tolle Homepages gemacht, die Prozesse dahinter laufen aber noch alle analog. In Österreich läuft es zwar besser als in Deutschland, es ist aber immer noch zu wenig. Wir müssen zum Beispiel “Automated Decision Making” verwenden, wo die Beamten tatsächlich nicht mehr in den Entscheidungsprozess mit eingebunden sind.
Was muss dafür passieren?
Datenbänke müssen miteinander kommunizieren können. Das ist sofort umsetzbar und es gibt sehr gute Beispiele. In England werden Reisepässe abgewickelt, ohne dass eine einzige Person in diesen Prozess involviert ist. Dafür braucht es ein Umdenken. Digitalisierung heißt nicht, eine schöne Homepage zu haben. Es bedeutet, die Prozesse dahinter neu aufzustellen. Und das ist eine Mammutaufgabe, aber da liegt ein enormes wirtschaftliches Potenzial.
Und Gefahren. Können Sie uns kurz den Rebound-Effekt erklären?
Einerseits hat die Digitalisierung das Potenzial, den Ressourcenverbrauch zu senken. Beispielsweise muss ich nicht mehr ins Büro fahren, wenn ich Homeoffice mache, womit ich eben CO2-Emission im Verkehr einspare. Der Rebound-Effekt ist eine ökonomische Theorie, die besagt, dass Preise sinken, wenn ich bestimmte Güter effizienter produzieren kann. Das verstärkt aber den Verbrauch dieser Güter. Das sehen wir in der ökologischen Fragestellung sehr oft.
Zu welchen ökologischen Problemen hat denn die Digitalisierung geführt?
Eines der größten Probleme des Internetverkehrs sind Streaming-Dienstleistungen. Das hat eben mit der Tatsache zu tun, dass sie auch sehr günstig sind und jeder darauf umgestiegen ist. Streamingdienste sind verantwortlich für mehr als die Hälfte des Internetverkehrs. Das produziert nicht nur Emissionen, sondern auch Nachteile für andere Dienstleistungen. Käme es zu einer Überlastung, verlieren auch Unternehmen an Produktivität.
Welche Rebound-Effekte kommen denn mit der Digitalisierung noch auf uns zu?
Das ist nicht so leicht vorhersehbar. Aber es könnte bei jedem Produkt so sein, das günstiger wird. Auch Dienstleistungen. Andererseits ist das Schöne, dass wir erneuerbare Technologien entwickeln werden, von denen wir als Verbraucher aktuell noch nichts wissen.
Auch in der Produktion. Oft ist das Problem ja nicht die Verwendung des Produkts.
In unserer Studie haben wir auch den Energieverbrauch der Produktion der für die Digitalisierung benötigten Komponenten berücksichtigt. Da macht es einen relativ großen Unterschied, ob wir diese Effekte der Digitalisierung in Europa oder in Entwicklungsländern analysieren. In Europa kommen wir oft zu dem Schluss, dass die Digitalisierung eine emissionssenkende Wirkung hat. Das hat mit der Tatsache zu tun, dass wir in Europa relativ wenig von dem produzieren, was wir für die Digitalisierung verwenden. Es müssen aber auch emissionsintensive Komponenten wie z. B. Halbleiter produziert werden. Das passiert typischerweise in Asien. Die Digitalisierung ist zwar ein komplexes Thema, in Europa senkt sie aber definitiv die CO2-Emissionen. Trotz Rebound-Effekt.
Und außerhalb Europas?
Wenn wir zum Beispiel nach Asien schauen, ergibt sich ein differenzierteres Bild. Es gibt in China Provinzen, in denen enorm viele Komponenten gefertigt werden und das ist sehr energieintensiv.
Was können Verbraucher und Unternehmen tun, um den CO2-Ausstoß tatsächlich zu senken?
Unsere Vorschläge orientieren sich stark an der akuten Energiekrise. Ein Aspekt ist, dass in Österreich die meisten Kunden nicht wissen, wann beispielsweise ein Gaskraftwerk zugeschaltet wird und es keinerlei Anreiz gibt, das eigene Verhalten zu ändern. Diese Informationen müssen zur Verfügung stehen. Vorstellbar ist eine App des Versorgers, die Informationen auf das Handy schickt, wann welche Energiequellen eingespeist werden, wann es Engpässe und wann Produktionsspitzen gibt. Dann wissen die Kunden, wann ein guter Moment wäre, um beispielsweise die Waschmaschine einzuschalten. Die Kunden müssen außerdem auf der monatlichen Stromrechnung sehen, wie hoch die Fluktuation der Preise ist und wann besonders hohe Anteile fossil produzierter Energie eingespeist wurden.
Die Digitalisierung könnte hier helfen.
Mit der Verwendung von Smart Meters und Smart Homes ließe sich dann viel erreichen. Aber dafür müssten die Information verknüpft und zur Verfügung gestellt werden. Dann wüsste die vernetzte Waschmaschine, wann der Versorger den günstigen Strom liefert und schaltet sich selbst ein. Die Technologie dafür gibt es.
Wie bringt man diese Botschaft auf breiter Eben rüber?
Bei der Kommunikation muss darauf geachtet werden, dass es keinen Widerspruch zwischen ökologischem Verhalten und der Wirtschaft besteht. Es dürfen keine Feindbilder entstehen. Wenn die Menschen das Gefühl haben, dass ihre ökologischen Ziele dazu führen, dass sie sich nichts mehr leisten können oder ihr Arbeitsplatz verloren geht, dann gefährdet es das Ziel.
Man muss sich mit den Zielen identifizieren können.
Ganz genau. Deswegen sagen die Ökonomen auch immer, dass der effizienteste und wichtigste Weg zum Umweltschutz über die Preise geht. Wenn etwas teurer wird, muss man darauf achten, dass die Leute woanders entlastet werden. Dass sie nicht das Gefühl haben, dass sie nur zusätzlichen Belastungen ausgesetzt werden.
Monika Köppl-Turyna im Web
- Priv.-Doz. Dr. Monika Köppl-Turyna – EcoAustria
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