Lisa Schappelwein: Die Social-Media-Schaffnerin
Lisa Schappelwein ist Pressesprecherin und Social Media Expertin bei den Wiener Linien. Im Interview erklärt sie, wie sich unangenehme Themen zielgerichtet kommunizieren lassen.
Es gibt im Netz ganze Listicles, die sich mit Tweets der Wiener Linien auseinandersetzen. Weil sich das Unternehmen gerne selbst auf den Arm nimmt. Zwischen Verspätungen und Stau ist Humor oft genau das richtige. Dieser Humor funktioniert aber vor allem deswegen, weil die Wiener Linien in den Sozialen Medien ihren Kernaufgaben schnell und professionell nachkommen. Sie informieren über Verspätungen, antworten verärgerten Kunden und gehen Beschwerden nach. Mit dafür verantwortlich ist Lisa Schappelwein. Sie ist Pressesprecherin bei den Wiener Linien und Social Media Expertin des Unternehmens. Im Interview mit sonicboom spricht sie über die chaotische Corona-Zeit und Kommunikation auf Augenhöhe.
Wie muss ich mir Ihr Team vorstellen?
Prinzipiell sind wir 8.700 Mitarbeiter bei den Wiener Linien. Die gesamte Kommunikationsabteilung besteht aus circa fünfzig Leuten. Da sind interne und externe Kommunikation, Marketing und Events dabei. In der Redaktion, die für externe Themen zuständig ist – also für die Webseite, Presse und Social Media – sind wir zu zwölft. Davon arbeiten drei direkt für Social Media. Es gibt eine Redaktionsleitung, die die gesamte externe Kommunikation leitet. Darunter gibt es aber keine weitere Hierarchieebene mehr.
Was sind die Hauptaufgaben im Social-Media-Team?
Das beginnt bei der Strategie für die Kanäle und geht über die Umsetzung einzelner Postings, also der Content-Creation, bis hin zum Communitymanagement. Es ist ein breites Spektrum. Wir erstellen sogar TikTok-Videos und Grafiken inhouse. Bei aufwendigen Photoshop-Arbeiten hilft uns zwar ein Agentur-Partner, die Ideenkreationen und das Themenspotting passieren aber oft intern.
Welche Kanäle nutzt ihr hauptsächlich?
Witzigerweise haben wir die größte Reichweite immer noch auf Facebook, auch wenn viele sagen, dass Facebook unwichtiger wird. Instagram ist ebenfalls ein sehr wichtiger Kanal. Seit etwas mehr als einem Monat haben wir auch TikTok. Das ist unser am schnellsten wachsende Kanal derzeit. Innerhalb von vier Wochen haben wir über 13.000 Follower gewonnen. Das ist rein organisches Wachstum, weil wir keinerlei Werbebudget dahinter haben. LinkedIn ist für die Geschäftswelt sehr wichtig, Twitter und YouTube bedienen wir auch noch. Der Fokus liegt derzeit aber eher auf Instagram und TikTok.
Das ist ein großer Strauß an Kanälen. Wie kommuniziert man damit ein emotionales Thema wie die Maskenpflicht?
Sehr unterschiedlich. Wir haben die Kommunikation der Maskenpflicht etwas zurückgefahren, weil es ein sehr schwieriges Thema ist. Auch in der Community. Dort gibt es zwei Lager. Die einen, die sagen, wir sollen sie mehr kontrollieren. Und die anderen, die sagen, wir sollen sie aufheben. Die Maskenpflicht ist aber kein Thema, das wir uns überlegt haben. Es ist eine Vorgabe der Stadt Wien und an die haben wir uns zu halten. Wir haben die Kommunikation schon auf unterschiedlichste Wege probiert. So haben wir unser Sicherheitsteam vorgestellt und die haben in sechs Sprachen erklärt, dass es wichtig ist, die Maske zu tragen und dass wir solidarisch sind. Wir haben versucht, Katzen mit Masken zu posten. Auch lustige Sprüche. Ziel war es, das Thema möglichst locker aufzugreifen und zu sagen: ‚Leute, halten wir alle zusammen, dann kommen wir durch diese schwierige Zeit.‘
Können Sie einen Vergleich ziehen zwischen der Art der Kommunikation bei diesem Thema im Jahr 2020 und jetzt?
Wir achten immer darauf, wie die Community reagiert. 2020, im ersten Lockdown, waren die Leute sehr ängstlich. Die Bereitschaft, die Maske zu tragen, war wahnsinnig hoch. Damals musste lediglich der eine oder andere daran erinnert werden, dass die Maskenpflicht schon gilt. Das war es sehr einfach zu kommunizieren. Wir haben dann umgeschwenkt und sind ein bisschen lustiger geworden, um auch die anzusprechen, die sich vielleicht doch nicht daranhalten. Zwischendurch sind wir sogar ein bisschen edge-ier geworden. Da haben wir zum Beispiel ein Video geteilt von dem TikToker Wurstaufschnitt, der erzählt hat, dass es immer die gleichen Personen – alte weiße Männer sind – die glauben, dass sie in den Öffis keine Maske brauchen. Zurzeit sind wir sehr reaktiv unterwegs. Wenn uns jemand fragt, wie die Maskenpflicht gehandhabt wird, sagen wir, dass unser Team unterwegs ist und kontrolliert.
Wie sah denn in dieser Zeit euer Alltag aus?
Das hat sich im Laufe der Zeit sehr stark gewandelt. Am Anfang gab es oft Pressekonferenzen von der Regierung, bei denen neue Maßnahmen verkündet wurden. Da gab es immer große Unsicherheit in der Bevölkerung, weil kaum einer wusste, was die Entscheidungen für die Öffis in Wien bedeuten. Die Bundesländer hatten ja auch unterschiedliche Regeln. Da haben wir ganz klar auf Information gesetzt. Da mussten wir nicht lustig sein. Die Leute brauchten Infos und das ist gut angekommen.
Dass Busse und Bahnen überhaupt fahren, war ja anfangs nicht selbstverständlich.
Wir haben deswegen auch Fahrerinnen und Fahrer gezeigt im ersten Lockdown und gesagt: ‚Bleibt daheim, aber wenn Ihr trotzdem in die Arbeit müsst, sind unsere Kollegen für euch da.‘ Im ersten und zweiten Lockdown wurden unsere Kollegen richtig als Helden gefeiert. Es war auch ein gutes Gefühl, dass nicht die ganze Stadt stillsteht.
Und jetzt?
Inzwischen ist es anders. Nach zwei Jahren sind viele Leute frustriert. Mit einem Hero-Posting könnten wir jetzt nicht mehr landen. Wenn es wichtige Infos gibt, geben wir die raus, ansonsten sind wir mit dem Content wieder dort, wo wir vor Corona waren. Wenn es lustige Feiertage gibt, dann machen wir dazu was. Es ist ein bunter Blumenstrauß an Themen, den wir auf Social Media machen, um die Öffi-Liebe zu stärken. Es gibt sehr viele, die auf die Öffis angewiesen sind. Da versuchen wir, Communitymomente aufzunehmen und auch die Leute zu bespaßen.
Aber es gibt bestimmt nicht nur gute Stimmung?
Natürlich gibt es immer wieder Anfragen von Leuten, die sagen, dass ihre Bim 15 Minuten Verspätung hatte. Warum? Da geben wir Antworten. Wir schauen uns die Einzelfälle an und suchen nach den Ursachen. Es kann sein, dass ein Fahrgast, medizinisch betreut werden musste. Oder ein Unfall oder ein falsch parkendes Auto hat die Gleise blockiert. Mit solchen Fällen gehen wir ganz offen um. Und wenn eine Linie besonders häufig betroffen ist, geben wir das auch intern weiter, und es wird an Verbesserungen gearbeitet.
Wie lange dauert es denn, bis Sie nach einer Pressekonferenz der Regierung einen Tweet absetzen dürfen?
Das ist immer relativ schnell gegangen. Wir hatten in dieser Hotspotzeit einen Krisenstab, der sich regelmäßig getroffen hat und wusste, wann es eine Pressekonferenz gibt. Meistens war innerhalb von ein oder zwei Stunden klar, was wir antworten können. Wenn die Pläne mal stehen, kann man schnell die wichtigsten Dinge zusammenschreiben. Anschließend gab es eine Abstimmung mit der Teamleitung und eine mit der Geschäftsführerin.
Und bei alltäglichen Dingen wie einem Unfall oder einem Rettungseinsatz?
Bei Social Media ist es wichtig, sehr schnell zu kommunizieren. Wir können nicht drei Wochen herumüberlegen. Es muss in derselben Stunde eine Antwort da sein. Am besten sogar sofort. Wir haben Bereitschaftsdienste am Abend und am Wochenende. Derjenige, der Bereitschaft hat, hat auch einen direkten Draht zu unserer Leitstelle. Dort fließen alle Unfälle, Betriebsvorkommnisse und Verspätungen zusammen. Deshalb wir sind sehr schnell. In solchen Fällen gibt es keine großen Abstimmungen. Uns ist wichtig, in solchen Fällen die Fahrgäste proaktiv auf Twitter und manchmal auch in der Instagram-Story zu informieren und die schätzen das normalerweise auch.
Hatten Sie schon einmal mit einem Shitstorm zu kämpfen?
Wir hatten schon mehrere Postings, wo es viele Beschwerden gab. Da muss man aber unterscheiden, ob es eine Beschwerde ist, weil wir einen Fehler gemacht haben, oder ob es die Community anders sieht. Wenn wir zum Pride-Thema ein Posting machen, wissen wir vorher, dass es eine gewisse Gruppe gibt, die darunter blöde Kommentare schreiben wird. In dem Fall sind wir schon gewappnet. Es gibt allerdings wenig, was wir löschen. Nur die Kommentare, die extrem beleidigend sind. Aber wenn jemand schreibt, dass er so etwas nicht sehen will, dann schreiben wir eben einen lustigen Kommentar, den wiederum die Community feiert. Wir haben generell eine sehr starke Community, die uns beim Thema Shitstorm enorm hilft. Weil sie uns von vornherein verteidigt.
Hätten Sie praktische Beispiele?
Ich kann mich an ein Posting erinnern, zu einer Werbekampagne. Da haben sich einige aufgeregt, dass es nicht cool sei, dass wir das machen. Ein paar Stunden später haben wir uns offiziell entschuldigt, das Bild gelöscht und die Werbekampagne sogar gestoppt. Das war berechtigte und konstruktive Kritik.
Ein anderes Beispiel ist ein Posting zum Weltfrauentag Anfang März. Da haben wir uns in auf den Social-Media-Kanälen in Wienerinnen-Linien umbenannt. Da kamen gerade auf Facebook extrem viele Herberts und Werners, die gemeint haben, dass man das nicht machen könne, dass sie nicht mehr mit uns fahren würden und warum es keinen Weltmännertag gäbe. Es waren wirklich hunderte Kommentare, die sich beschwert haben, dass wir für ein paar Tage ‚Wienerinnen-Linien‘ heißen. Da haben wir uns gedacht, wenn es im Jahr 2022 noch so ein Problem ist, Wienerinnen-Linien zu sagen, dann verwenden wir den Namen einfach ein bisschen länger. Den gesamten März durch. Das hat dann sogar die Presse aufgenommen. Man kann einen Shitstorm also auch in etwas positives drehen.
Ein Rezept dafür gibt es aber nicht?
Wichtig ist, immer die Kanäle zu monitoren. Gerade, wenn eine Beschwerde reinkommt. Manchmal kommt eine Beschwerde gegen einen Mitarbeiter rein. Dem gehen wir dann nach und bitten darum, alle Details zu bekommen. Bevor das eine große Geschichte in den Kanälen wird. So lassen sich extrem viele Dinge abfangen, bevor es ein Shitstorm wird. Man muss immer sehr mit Gefühl an das Thema rangehen und auf Augenhöhe mit der Community sprechen.
Die Wiener Linien haben einen Personalmangel. Was können Sie im Social-Media-Team tun, um solche existenziellen Probleme zu beheben?
Wir haben schon im ersten Monat auf TikTok festgestellt, dass die junge Zielgruppe total darauf abfährt, wenn man Arbeitgeberthemen aufgreift. Wir haben zwischendurch mal U-Bahn-Schule gezeigt und waren ehrlich gesagt sehr skeptisch, ob das gut ankommt. Aber es gab wirklich viele Kommentare, in denen gefragt wurde, wo man sich bewerben könnte und wie alt man sein müsse. Dass TikTok ein Kanal ist, auf dem man potenzielle Angestellte ansprechen kann, war uns vorher gar nicht klar. Ähnlich ist es auf Instagram, wenn wir dort einen Tag lang einen Kollegen begleiten. Es ist unglaublich, wie viele Fragen die Leute zu unterschiedlichen Berufen haben. Wir setzen nicht auf Hochglanzproduktionen, sondern gehen da wirklich mit dem Handy hin, begleiten die Menschen und versuchen, so authentisch wie möglich sein. Es gibt keine Drehbücher oder Skripte.
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