Metaverse: Dystopie oder Utopie
Das Metaverse soll die nächsten Internetrevolution einläuten. Christoph Kullnig, Head of Group Marketing bei der Raiffeisen Bank International, erklärt im Interview mit sonicboom, wie die Chancen stehen, dass daraus eine Dystopie oder eine Utopie wird.
Das Metaverse soll die neue Realität werden. Und die ist digital. Menschen treffen sich hauptsächlich virtuell und kaufen mit echtem Geld virtuelle Grundstücke. Die Blockchain-Technologie macht all das möglich. Eine digitale Revolution also. Damit kennt sich Christoph Kullnig aus. Er war bereits als Manager für den Aufstieg von Runtastic verantwortlich und arbeitet jetzt als Head of Group Marketing bei der Raiffeisen Bank International.
Marc Zuckerberg hat jüngst das Thema wieder in die Öffentlichkeit getragen, als er seinen Facebook-Konzern in Meta umbenannt hat. Parallel kündigt er an, an einem Metaverse zu arbeiten, in sich echte und digitale Welt mischen sollen. Der Begriff stammt jedoch nicht von Zuckerberg – das Metaverse existiert in Romanen und Filmen seit Jahrzehnten. Während das Silicon Valley an eine Utopie glaubt, endet es in der Populärkultur (vom Rasenmähermann über Total Recall bis Matrix) stets in einer Dystopie.
sonicboom wagt im Interview mit Christoph Kullnig dennoch einen Blick auf das Web 3.0, seine Chancen und Risiken.
An wen richtet sich META?
Nur weil Facebook jetzt Meta heißt, hat sich nichts geändert. Es gibt weiterhin die gleichen Produkte – WhatsApp, Messenger, Instagram und Facebook. Diese vier wesentlichen Bausteine bleiben unverändert. Die Zielgruppen der jeweiligen Anwendungen sind unterschiedlich und der Content ist ein anderer. Facebook und Instagram sind eine Community, WhatsApp und der Messenger dienen der Kommunikation. Die Umbenennung dürfte vor allem Marketing-Gründe und einen rechtlichen Hintergrund haben. Wenn man ein gemeinsames Dach hat, ist es wahrscheinlich leichter, Daten auszutauschen.
Die Umbenennung ist ein Schritt zum Metaverse. Was ist das?
Wir hatten das Web 1.0 – in dem wollte man einfach nur Informationen finden. Dann kam das Web 2.0, das hat Facebook eingeleitet. User können Dinge teilen, kommentieren und selbst Content erstellen. Jetzt sind wir im Web 3.0. Der wesentliche Fortschritt ist, dass es jetzt auch Besitz und Eigentum im virtuellen Raum gibt. Die entscheidende Technologie ist die Blockchain. Die ist der Enabler für das Web 3.0 und dessen verschiedenen Anwendungen. Also NFT, Crypto oder Erfindungen, die noch kommen werden.
Welche Rolle spielt dabei Meta?
Ein Stück dieses Kuchens will Meta haben und dafür neue Geschäftsmodellen erschließen. Das hat aber nichts mit Facebook oder Instagram zu tun. Es wird etwas Neues geben, etwas Dezentralisiertes. Aber das werden viele versuchen. Auch Google, Apple und wie die großen Techkonzerne alle heißen. Das Metaverse ist eine Parallelökonomie, keine Parallelwelt. Denn eine Parallelwelt gibt es schon, die jetzt aber um ökonomische Aspekte ergänzt wird. Im Gaming gibt es das mit Play-to-earn schon. Da will auch Zuckerberg dabei sein. Dass er sein Unternehmen Meta nennt, ist sehr clever. Damit ist der Name vergeben.
Wie wird das Web 3.0 aussehen?
Im Ergebnis wird es darauf hinauslaufen, dass wenigen Firmen das Web 3.0 gehört. Es wird monopolisiert werden. So funktioniert Globalisierung – Geld und Macht konzentrieren sich. Der Grundgedanke des Metaverse und der Blockchain ist allerdings eine Dezentralisierung, also das genaue Gegenteil. Ich persönlich glaube, es wird ein Paralleluniversum geben, in dem wir alle sein werden. Es gibt keinen Platz für zwei oder vier Anbieter, wie es jetzt bei den Social-Media-Anwendungen der Fall ist. Das Metaverse funktioniert anderes.
Wer sind die Nutzer?
Ich bin zu alt dafür, ich bin Generation X. Es gibt eine Studie, in der gefragt wurde, wo sich die Menschen wohler fühlen. In der realen Welt oder in der digitalen. Die Generation Z war die erste, die sich mehrheitlich in der digitalen wohler fühlt. Nach eigener Aussage können sie dort eher sie selbst sein. Bei der Generation Y fühlten sich auch schon 46 Prozent in der digitalen Welt wohler. So lässt sich leicht vorhersagen, wohin der Trend geht.
Wenn das Publikum so jung ist, ergibt es dann Sinn, dass wir beide uns darüber unterhalten?
Ich als Privatperson möchte nicht in einer digitalen Parallelwelt leben. Ich glaube, dass es sich die Menschen aussuchen werden. Könnte es eine Spaltung der Gesellschaft geben? Wahrscheinlich schon.
Ein Businessplan wie aus einem Sci-Fi-Film.
Ich mag Hollywood ganz gern. Weil die 30 oder 40 Jahren früher schon Entwicklungen vorhersagen. Elektroautos zum Beispiel. Da haben ein paar Filmemacher dran geglaubt, bald fahren wir alle eines. Jetzt sind wir bei „The Matrix“ angekommen und der Film ist aus dem Jahr 1999.
Der Begriff „Metaverse“ entstammt einem Roman aus dem Jahr 1991 und war eine Dystopie. Kommt das auf uns zu? Warum hat man diesen Namen übernommen?
Manche überschätzen die Leute bei den großen Techkonzernen. Ich weiß nicht, ob die das Buch kennen oder wie sie sich den Namen überlegt haben. Aber das Silicon Valley ist sicher nicht dystopisch angehaucht, sondern eher utopisch. Wenn der Begriff eher negativ aufgeladen ist, versuchen sie, den Namen positiv zu besetzen.
Klappt das?
Wer weiß. Ich halte es für 50 Prozent wahrscheinlich, dass es eine Dystopie wird. Weil ich die Entwicklung eines Paralleluniversums nicht für richtig halte. Facebook hatte einen Mehrwert. Und das Metaverse birgt meiner Meinung nach auch Nutzen, allerdings auch mehr Gefahren. Andererseits: Bei Facebook bin ich in der Zielgruppe beim Metaverse nicht.
Viele disruptive Ideen verdanken ihren Durchbruch einer physischen Erfindung. Für das Mobilzeitalter, wie wir es kennen, braucht es das Iphone 3G und den App-Store. Was fehlt dem Metaverse?
Die neue Erfindung gibt es schon, dass ist im Wesentlichen die Blockchain. Aber um die skalieren zu können, braucht es eine Plattform. Ein Portal, das das Web 3.0 massentauglich macht. Früher gab es neben Facebook noch MySpace und StudiVZ, dann hat sich der Markt konsolidiert. Schon jetzt gibt es Metabrowser, aber noch nicht das ‚Facebook‘ oder ‚Google‘ des Web 3.0. Der Zugang ist das wichtigste.
Wie lange brauchen wir noch, bis wir alle im Web 3.0 sind?
100 Prozent aller Menschen werden nie drinnen sein. Aber für die Leute, für die das relevant ist – also die Generation Z und Alpha – ist das wahrscheinlich in zwei bis vier Jahren massentauglich. Die Early-Adopter sind schon da, die First Follower brauchen noch ein Jahr.
Welche Chancen bietet das Metaverse Unternehmen?
Für Unternehmen ist es ein Kanal, in dem Kunden angesprochen werden können. Dort wird eine Kolonie zusammenkommen, in der gehandelt wird und in der es Eigentum gibt. Für Unternehmen wird es im ersten Schritt darum gehen, diese Menschen anzusprechen. Die meisten Firmen machen dort kein Geschäft, sondern sind nur präsent und haben so einen weiteren Touchpoint.
Und im zweiten Schritt?
Es wird bald Produkte geben, die nur im Metaverse zu kaufen sind. Ich glaube nicht, dass der Handel hybrid bleiben wird. Jetzt macht man noch im Web 3.0 Werbung, das eigentliche Geschäft läuft dann aber in der realen Welt ab, weil sich die Kunden keine digitale Rolex oder ein virtuelles Adidas-Shirt kaufen wollen. Aber das wird bald ein Trend. Die Rolex wird im Metaverse bald so viel kosten, wie in der echten Welt. Das wird brutal schnell gehen.
Wie geht die Raiffeisen Bank International damit um?
Im Moment ist das Metaverse ein potenzieller Marketing-Usecase. Im Raiffeisen International-Netzwerk – das sind 13 Banken – gibt es die Tatrabank, die in dem Bereich schon sehr aktiv ist. Die haben mit Bejby Blue sogar eine eigene Influencerin für das Metaverse. Wir überlegen, ob Sponsoring ein Thema sein könnte. Also beispielsweise ein E-Sports-Team, Bandenwerbung bei digitalen Wettkämpfen oder ein Match hosten. Eine der Fragen ist, ob wir in das Wirtschaftssystem hineinwollen. In dem Bereich gibt es viele unbeantwortete Fragen. Cryptowährungen und Token sind ein wichtiger Bestandteil im Metaverse. Wer es nicht verwenden kann, wird dort nicht gebraucht. Solange die Regulatorik nicht klar ist, wird es keine Bank im Metaverse schaffen.
Das kann schnell gehen.
Das stimmt. Deswegen muss man seine Hausaufgaben machen. Wir haben Innovationshubs, wo wir Dinge ausprobieren. Ob wir dann auch auf den Knopf drücken und es live schalten, ist eine andere Frage. Noch ist es nur Marketing.
Zur Person
Christoph Kullnig ist Marketing-Executive, Unternehmensleiter und zielorientierter Entrepreneur aus Österreich. Er ist Head of Group Marketing bei der Raiffeisen Bank International AG. Gemeinsam mit seinem Team ist er für die strategische Markenführung und das Marketing im RBI-Konzern, den CEE-Netzwerkbanken und den österreichischen Tochtergesellschaften verantwortlich.
Mit mehr als 15 Jahren Erfahrung im Bereich Branding & Marketing sammelte Christoph Kullnig vor seinem Wechsel zur Raiffeisen Bank International Leadership-Erfahrung bei der Paysafe Group, der Runtastic GmbH, J.Lindeberg und dem Österreichischen Bundesheer. Themen wie Markenstrategie, Digitalisierung, Daten, Leadership, Purpose und Customer Experience begeistern ihn besonders. Sein Wissen gibt er leidenschaftlich gerne an Studierende der Technikum Wien Akademie weiter.