Mit dem Kauf von Twitter legte Elon Musk eine Bauchlandung hin. Bislang. Denn langfristig will er eine Universal-App nach dem Vorbild von WeChat gründen. Eine risikoreiche Wette.
WeChat ist eine der meistgenutzten Apps der Welt. Obwohl es sie nur in China gibt. Mit ihr organisieren Chines:innen ihr gesamtes Leben. Elon Musk sieht auch auf dem westlichen Markt Bedarf für eine solche Anwendung. Und Twitter soll dazu werden. Nachdem sich der Kauf bislang eher als Flop entpuppt hatte, könnte die Wandlung der App deren Rettung sein. Ob die Nutzer:innen das allerdings mitmachen, bleibt fraglich.
Das digitale Drama: Elon Musk und Twitter
Die Übernahme von Twitter durch Elon Musk war wie ein neoliberaler Autounfall. Es war schwer, nicht hinzuschauen. Jeden Tag produzierte der Milliardär neue Schlagzeile. Und es waren nicht wirklich positive. Vom überzogenen Kaufpreis bis zu fragwürdigen Co-Investoren, komplexen und teuren Kreditkonstruktionen bis zur Absicherung des Deals mit Tesla-Aktien, die seitdem massiv an Wert verloren haben. Anschließend gab es Probleme mit den Werbekunden, Flops bei der Vermarktung (Abomodell für blauer Haken) und Massenentlassungen.
Dazu kommt, dass Elon Musk immer wieder durch populistische Tweets, Verschwörungstheorien und schlichtes Lügen auffällt. In einem politisch stark gespalteten Amerika hat er es sich in der weit rechten Ecke gemütlich gemacht. Die Reaktivierung diverser Accounts, die durch rassistische, antisemitische und sonst wie justiziable Tweets aufgefallen sind, kam ebenfalls nicht gut an. Vor allem bei den Menschen, die bei Tesla (und jetzt bei Twitter) einst seine Kernkundschaft waren.
Twitter soll zu WeChat werden
Doch es gibt einen Plan. Elon Musk möchte Twitter zur westlichen Version von WeChat machen. Dabei handelt es sich – bei aller Bescheidenheit – um die Super-App in China. WeChat bietet die Funktionen von WhatsApp, Facebook und Skype. Gleichzeitig aber auch von Mjam, Free Now und Amazon. Mit ihr können Chines:innen Arzttermine ausmachen, Memes posten und Restaurant-Tische reservieren. Sie können Klamotten kaufen und live mit den Händlern chatten, falls sie Fragen haben. Statt Visitenkarten auszutauschen, werden QR-Codes zu WeChat-Profilen verschickt.
Obwohl WeChat nur in China verwendet wird, hatte die App gegen Ende des Jahres 2022 rund 1,29 Milliarden monatliche Nutzer. Das zeigt, wie weit die Anwendung in dem Land mit 1,4 Milliarden Einwohner verbreitet ist. Weil damit auch gezahlt werden kann, hat sie für viele Menschen das Bargeld und die Kreditkarte gleichermaßen ersetzt. Hinter WeChat steht der Tech-Gigant Tencent. Mit einem Börsenwert von rund 590 Milliarden Euro gehört der Konzern zu den zehn wertvollsten Tech-Firmen der Welt. Noch vor strauchelnden Mitbewerbern wie Meta.
Der Aufstieg von Tencent
Tencent ist das vielleicht größte Unternehmen, von dem Europäer:innen noch nie gehört haben. Die Firma ist Weltmarktführer im Gaming-Sektor. Nach einer umfangreichen Einkaufstour gehören dem chinesischen Konzern unter anderem die Studios hinter Clash of Clans, Fortnite und Gears of War. Darüber hinaus betreibt Tencent Video- und Musikstreaming-Dienste, ist Risikokapitalgeber und forscht und entwickelt viel im Bereich der künstlichen Intelligenz. Das Unternehmen hat mit beinahe jedem Autohersteller eine Kooperation zur Bereitstellung von Software.
Ma Huateng, oder Pony Ma, hat Tencent gegründet. Im Jahr 1998 brachte er gemeinsam mit Studienkollegen den Messenger Dienst QQ auf den Markt. Das Programm war so erfolgreich, dass Tencent im Jahr 2004 an die Börse ging. Umsatz und Gewinn stiegen kräftig und Ma Huateng ging mit Tencent auf Einkauftour. Software-Entwickler standen ganz oben auf der Wunschliste. Der große Durchbruch gelang dann im Jahr 2011 mit dem Dienst Weixin. Der basierte auf dem Messenger Dienst. Später benannte Tencent den Dienst in WeChat um.
Elon Musk möchte westliches WeChat schaffen
Genau diesen Erfolg scheint Elon Musk jetzt mit Twitter anzustreben. Er wolle ebenfalls eine Super-App schaffen.
„Wenn du in China bist, lebst du in gewisser Weise auf WeChat. Es macht alles. So etwas wie Twitter, plus Paypal, plus eine ganze Reihe anderer Dinge. Und das alles mit einer großartigen Benutzeroberfläche“,
sagte er während eines Interviews im „All-in“ Podcast. WeChat sei eine „herausragende App“. Außerhalb von China gäbe es nicht vergleichbares, dabei sei es sehr nützlich so eine Anwendung zu haben.
Während das Interview im Westen für Musk-Maßstäbe nur wenig Verbreitung fand, ging der Milliardär mit diesen Äußerungen in China viral. Auch deswegen, weil Tencent selbst daran scheiterte, seine App international erfolgreich zu machen. Und das hat seine Gründe. So hat die Kommunistische Partei Zugriff auf alle Daten. Zwar würden diese nicht direkt abfließen, einsehbar seien sie aber sehr wohl. Anders könnte die Regierung ihren riesigen Überwachungsstaat auch nicht handhaben. WeChat vereinfacht dem Staat die Arbeit, da hier alle Daten – vom Einkauf über das Einkommen bis zu Sozialen Medien – zusammenlaufen.
Entsprechend scheiterten Versuche, die App in Indonesien, Brasilien und Indien zu lancieren. Da nutzte auch Fußballikone Lionel Messi als Werbefigur nichts. Die Skepsis war und ist zu groß.
Wie Twitter zu WeChat werden könnte
Diese Probleme sind auch Musk bewusst. Die Skepsis westlicher User:innen gegenüber Tech-Riesen und Milliardär:innen ist weitaus ausgeprägter als in China. Auch sind die Nutzer:innen lange nicht so technikaffin. Weswegen Musk darauf setze, eine „maximal vertrauenswürdige und integrative“ Plattform zu schaffen. Die einfachste Möglichkeit wäre natürlich, Twitter um mehr und mehr Funktionen zu erweitern.
„Wir wollen einfach etwas, das unglaublich nützlich ist und das die Leute gerne benutzen“, plant Musk. Auch wenn Musk recht haben sollte – was längst keine beschlossene Sache ist – so dürfte mittelfristig kein westliches WeChat auftauchen. Seit seiner Übernahme hat sich Twitter eher weiter entfernt von Begriffen wie „vertrauensvoll“ und „gern benutzen“.
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