Mithilfe von Künstlicher Intelligenz lassen sich Lieferketten zumindest oberflächlich sehr effizient kontrollieren. Große Produzenten könnten in Zukunft so die Qualität ihrer Zulieferer entlang der Lieferkette sicherstellen. Umso wichtiger ist, dass Sie Ihren digitalen Fußabdruck kontrollieren.
Der Einsatz Künstlicher Intelligenz (KI) eignet sich an Stellen, an denen enorme Datenmengen gesichtet werden müssen. Im Bereich der Supply-Chain ist das nicht erst seit dem europäischen Lieferkettengesetz der Fall. Große Produzenten können KI einsetzen, um die Berichterstattung zu Umweltverschmutzung und Menschenrechtsverletzungen zu überschauen und Zusammenhänge zu ihren Zulieferern zu entdecken. Prototypen sind bereits in Verwendung. Wollen Sie von dieser Technologie für Ihre Lieferkette profitieren, muss Ihr digitaler Fußabdruck stimmen.
Für eine KI ist die Lieferkette nicht unüberschaubar
Vergangenes Jahr sorgte die Studie „Driving Force“ für Aufsehen. Die Autoren der Sheffield Hallam University haben darin versucht, die Lieferketten von Automobilherstellern nachzuverfolgen. Sie wollten wissen, ob Zwangsarbeit aus der chinesischen Uiguren-Region in den Fahrzeugen steckt. Um es kurz zu machen: Höchstwahrscheinlich.
Die Uiguren sind eine moslemische Minderheit in China, die vor allem in der Provinz Xinjiang leben. Die Region liegt etwas abseits im Nordwesten des riesigen Landes. Dennoch beschloss die Kommunistische Partei im Jahr 2014, die Region „zu einem wichtigen und westwärts orientierten Standort für die Automobilherstellung auszubauen“. Damit die Industriebetriebe dem Ruf folgen, führte die Regionalregierung eine umfangreiche Subventionspolitik ein, die vor allem auf energie- und arbeitsintensive Industrien zugeschnitten war. Also etwa für die Metallverarbeitung.
Ein Teil dieser Subventionen sind Arbeitsprogramme. Uiguren, die in Umerziehungslagern sind, oder in ärmlichen, ländlichen Regionen leben, müssen Zwangsarbeit leisten. In Europa gilt das als Menschenrechtsverletzung, in China ist es eine Wirtschaftsförderung. Entsprechend offen berichten Konzerne und Medien darüber und veröffentlichen Fotos und Videos dazu als Teil der Pressearbeit von Konzernen oder als Erfolgsmeldung lokaler Regierungen.
Die Autoren von „Driving Force“ haben solche Meldungen analysiert. Ein Beispiel: Aluminium. 12 Prozent des Weltbedarfs kommen aus der Uiguren-Region, wo acht globale Hersteller produzieren. Einer davon ist Joinworld, der über seine Programme zur Arbeitskräfte-Beschaffung zumindest in China sehr offen kommuniziert. Und über seine Kunden. So bezieht BMW laut der Studie Motorblöcke von Joinworld. Bremsen und Kupplungen gehen an das chinesische Unternehmen Jingwei, das unter anderem VW, Ford und Beijing Benz beliefert.
Wie KI eine Lieferkette verfolgt
Im Juni hat nun das EU-Parlament das Sorgfaltspflichtgesetz angenommen – auch Europäisches Lieferkettengesetz genannt. Unternehmen sind damit gesetzlich verpflichtet, „negative Auswirkungen ihrer Tätigkeiten auf Menschenrechte und Umwelt zu ermitteln und zu verhindern, zu beenden oder abzumildern“. Die Regelung tritt in Kraft, wenn sich das EU-Parlament und der Ministerrat geeinigt haben.
Dann müssen Unternehmen ab einer bestimmten Größe ihre Lieferketten auf Menschenrechtsverletzungen und Umweltschutz kontrollieren. Österreichs Industriellenvereinigung ließ daraufhin verlauten, dass dies „kaum administrierbar“ sei.
Das sehen große Konzerne anders. Bei einem Weltmarktführer mit weit über 100.000 Beschäftigten (und vielen Zulieferern in Österreich) – der an dieser Stelle leider anonym bleiben muss – fand jüngst ein Hackathon statt. Ziel der Veranstaltung war die Programmierung einer KI, die in Echtzeit das leistet, was die Autoren der Studie „Driving Force“ gemacht haben – Presseberichte analysieren und Lieferketten zurückverfolgen.
Dafür wird die KI trainiert, bestimmte Wortkombinationen in Zeitungen und auf sozialen Medien zu finden. In der Uiguren-Region wären das beispielsweise Wörter wie „Pflichtarbeit“, „Überschussarbeitskräfte“ oder „Arbeitsvermittler“. Alles Euphemismen, mit denen in den Medien die Zwangsarbeit gemeint sein könnte. Die KI analysiert daraufhin den Bericht und versucht nachzuvollziehen, welche Kunden mit den betroffenen Produkten beliefert worden sind.
Probleme der KI
Die Programmierer haben auf dem Hackathon eine (noch eher grobschlächtige) Variante dieser KI problemlos und innerhalb kürzester Zeit zum Laufen gebracht. Die Anwendung ordnete daraufhin die Zulieferer des Konzerns in einer Art Ampelsystem ein. Unternehmen, zu denen die KI nichts gefunden hat, bekamen ein grünes Logo. Zulieferer mit lösbaren Problemen ein gelbes. Und wer im roten Topf landete, darf sich auf den Besuch des zuständigen Supply-Chain-Managers freuen.
Zumindest theoretisch. In der Praxis steckt diese Technologie noch in den Kinderschuhen und die Programmierer kämpfen mit zwei zentralen Problemen:
- Blackbox KI: Das Programm hat zwar alle Hersteller bewertet, konnte aber (noch) nicht schlüssig erklären, wie es zu dieser Bewertung kam. Das Ergebnis war nicht ausreichend nachvollziehbar. Als Lösung kommt eine Art Quellenverzeichnis infrage.
- Fehlinterpretation: Auf dem Hackathon suchte die KI nach bestimmten Wortkombinationen. Kommen sie vor, müssen sie aber nicht zwingend negativ sein. Lautet die Schlagzeile, dass ein Hersteller Überschussarbeitskräfte verweigert, kann die KI das (noch) nicht zugunsten des Produzenten interpretieren.
Das Lieferkettengesetz und eine kontrollierende KI ist für Unternehmen auch eine Chance. Aber nur, wenn sie sicherstellen, dass sich ihr positives Verhalten und nachhaltiges Wirtschaften auch in ihrem digitalen Fußabdruck widerspiegelt. Er muss mit eindeutigen Aussagen und vernetzten Signalen zweifelsfrei mit der KI kommunizieren.
Große Macht, große Verantwortung
Der Wettlauf um diese Technologie dürfte angesichts des Europäischen Lieferkettengesetzes an Fahrt gewinnen. Auch, weil die Einsatzmöglichkeiten sehr vielfältig sind. Die Programmierer auf dem Hackathon hatten das Grundgerüst der KI derart schnell fertig, dass jede Institution, die ein ernstes Interesse an dieser Technologie hat, sie ebenfalls entwickeln könnte.
Während der erwähnte Konzern ein Interesse daran hat, mit seinen Zulieferern etwaige Probleme entlang der Lieferkette zu lösen, gilt das für Konkurrenten nicht. Der könnte die Lieferkette aber genauso leicht kontrollieren, Missstände an die Meldestellen der EU und die Presse weitergeben, um das Geschäft zu stören. Auch NGO hätten mit dieser KI ein scharfes Schwert, um sich für mehr Umweltschutz und die Einhaltung der Menschenrechte einzusetzen.
Entsprechend wichtig ist es für Unternehmen, nicht nur Gutes zu tun, sondern auch darüber zu sprechen. KI ist ein effizientes Werkzeug, um die Welt transparenter zu machen. Das ist kein Trend oder Hype, der vorbeigehen wird – dafür ist er für viel zu viele Parteien zu einem lukrativen Geschäftszweig geworden. Unternehmen müssen wissen, wie sie diese Entwicklung für sich nutzen können. Sie müssen lernen, ihre Werte und Ziele, ihre Arbeitsweise und Vorzüge klar, ganzheitlich und leicht auffindbar im Netz zu präsentieren.
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